Krieg, Veteranen und moralische Verwundung

5. Oktober 2012 | Robert C. Koehler

Übersetzung von AntiKrieg.com

Es ist nicht nur Selbsttötung. Es ist auch eine Überdosis von Drogen, ein Autounfall – quasi oder geheime Selbsttötung, begangen in schrecklicher Isolation.

Junge Veteranen aus den Kriegen gegen den Irak und Afghanistan sterben in immer größerer Anzahl von eigener Hand in „einem weitgehend ungesehenen Schema von vorzeitigen Todesfällen, bei deren entsprechender Erfassung die Bundesbehörden versagen und nur langsam darauf reagiert haben,“ so vor kurzem ein Artikel im American Statesman in Austin auf der Grundlage einer sechsmonatigen Untersuchung der Ursachen des Todes von 266 texanischen Veteranen aus insgesamt 345 der Veteranenadministration bekannten, die nach der Rückkehr von Einsätzen ums Leben gekommen sind. Mindestens 142 dieser Tode waren in der einen oder anderen Weise selbst herbeigeführt.

Das sind die vergessenen Toten. Ihre Autopsieberichte, so der American Statesman, „bilden ein Mosaik aus Schmerz, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit unter einer bedeutenden Anzahl von Veteranen in Texas.“ Natürlich geht das über Texas hinaus. Ähnliche Zahlen, ähnliche Geschichten, ähnliche Wracks lassen sich in jedem Bundesstaat finden.

In einem tiefgehenden Sinn wurden diese Veteranen aufgegeben – von der Veteranenadministration, der die Kapazität fehlt, mit so viel Not und Verletzung umzugehen, aber auch von der amerikanischen Gesellschaft insgesamt. Das geht hinaus über die „Behandlung“ von physischen und/oder psychologischen Schädigungen zu etwas, das nicht auf ein klinischen Problem reduziert werden kann. Einen Krieg zu führen ist eine kollektive Entscheidung, aber wenn die Veteranen nachhause kommen, bleibt ihr Schmerz eine individuelle Angelegenheit. Er wird PTSD (Kriegssyndrom) genannt und ist psychologisch. Behandle ihn mit Medikamenten oder vielleicht Beratung. Aber er ist dein Problem, Veteran – eine Fehlfunktion, eine Sache, die geheilt werden kann. Und dabei bleibt es dann üblicherweise.

Nan Levinson schrieb im vergangenen Juni in TomDispatch: „Wenn es um Veteranen geht, dann sieht es so aus, als wäre die einzige Reaktion, die wir uns vorstellen können, dass sie uns leid tun. Opfer ist eine der beiden Rollen, die wir unseren Soldaten und Veteranen zugestehen (die andere ist natürlich die des Helden).“ Beide Kategorien – die Kriegstraumatisierung der Veteranen, könnte man sagen – stoßen sie weg von uns in eine Dimension der Belanglosigkeit.

Und der Irakveteran Tyler Boudreau schrieb in einem exzellenten Artikel, der letztes Jahr in der Massachusetts Review erschien: „Wenn also Veteranen oder Soldaten fühlen, dass etwas in ihnen schmerzt, gibt es dafür immer nur eine Bezeichnung – PTSD. Das ist nicht gut. Es stimmt nicht immer. Und es macht Soldaten automatisch zu psychisch Kranken statt zu verwundeten Seelen.“

Beide Autoren weisen darauf hin, dass eine neue Denkweise bezüglich der inneren Verwundungen von Soldaten und Veteranen aufkommt. Im Krieg erleiden einige – vielleicht die meisten, vielleicht alle – Teilnehmer moralischen Schaden durch die Übertretung des tief in jedem sitzenden Bewusstseins darüber, wie andere Menschen zu behandeln sind. Diese Auffassung entspricht dem gesunden Menschenverstand. Diese Übertretung liegt in der Natur jedes Krieges, sei es ein wohl gerechtfertigter oder ein imperialistischer, aggressiver und unnötiger.

„Der schwerwiegendste blinde Fleck in den Berichten über militärische Selbsttötungen ist ein Fehlen von Diskussionen über die moralischen Auswirkungen der militärischen Ausbildung und deren Anwendung im Kampf,“ schrieb Rita Nakashima Brock, eine Direktorin des Soul Repair Center (Seelenreparaturzentrums) an der Brite Divinity School in Fort Worth, Texas, im Juli in der Huffington Post. „Soldaten werden ausgebildet um zu töten ...“

Sie zitiert aus dem militärischen Ausbildungslied „Sniper Wonderland” (Scharfschützen-Wunderland):
„Sieh das kleine Mädchen mit dem Hündchen;
schau und lad’ ein Hohlspitzgeschoss.
Gib ab den Schuss, und wenn du Glück hast,
wirst du sie beide leblos fallen sehen.

Töten ist keine einfache Sache. Es ist kein Spaß. Es lässt sich begründen, dass es in manchen Fällen notwendig ist, aber beim militärischen Töten geht es nicht um Selbstverteidigung. Soldaten werden ausgebildet, um auf Befehl zu töten, und das nicht nur durch Übungen zur Ausbildung der physischen Bereitschaft, sondern durch Entmenschlichung des Feindes: einen Kult der Entmenschlichung, könnte man sagen. Es stellt sich heraus, dass wir nicht jemand anderen entmenschlichen können, ohne uns selbst zu entmenschlichen. Ein Gefühl einer moralischen Verwundung tritt nur auf, wenn wir unsere Menschlichkeit zurückgewinnen.

Die Ergebnisse einer Studie über die Ursachen von PTSD, die vom Medizinischen Zentrum der Veteranenadministration San Francisco gemeinsam mit der University of California in San Francisco durchgeführt wurde, besagten, dass „die negativen psychologischen Auswirkungen des Tötens“ alle anderen Faktoren im Vergleich in den Schatten stellten. Manchmal im Kampf „drängt sich die Menschlichkeit des Ziels hinein,“ sagte Dr. Shira Maguen, die leitende Autorin der Studie.

Die Hölle der moralischen Verwundung ist ihre Isolation. Sie kann nicht in einem klinischen Umfeld geheilt werden, wo der Veteran weiterhin isoliert bleibt und die mögliche Lösung bestenfalls oberflächlich ist. Die moralische Verwundung eines Veteranen stellt den Krieg in Frage, in dem er oder sie gekämpft hat, und nur in Zusammenhang mit der Bearbeitung dieser Frage – nicht als Einzelner in einem Gerichtsverfahren, sondern öffentlich, im selben kollektiven Kontext, in dem der Krieg begonnen wurde – ist eine Heilung möglich.

Boudreau führt aus: „Niemand will über die Iraker reden. Immer geht es um die Soldaten. ‚Moralische Verwundung’ jedoch schließt per definitionem die Erinnerung an diejenigen mit ein, die geschädigt worden sind.“

Und weiter: „Besonders wertvoll an dem Begriff „moralische Verwundung“ ist, dass er das Problem aus den Händen der Psychobranche und des Militärs nimmt, um es dahin zu platzieren, wohin es gehört – in die Gesellschaft, in die Gemeinschaft und in die Familie – genau dorthin, wo moralische Fragen gestellt werden und darum gerungen werden soll. Er macht aus ‚Patienten’ wieder Bürger.“

Die nationale Seele ist durch einen brutalen unnötigen Krieg verwundet worden. Wieviele Veteranen werden wir noch zwingen, diese gewaltige Wunde allein zu ertragen?

Robert Koehlers Artikel erscheinen auf seiner Website COMMONWONDERS.COM, in HUFFINGTON POST und vielen weiteren Websites und Zeitungen

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