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Rede-Inhalt wichtiger als Äußerlichkeiten
Der französische Regisseur Claude Chabrol hat einmal gemutmaßt: "Wenn es damals schon Fernsehen gegeben hätte, hätte Hitler nicht funktioniert. In der Großaufnahme hätte er komisch gewirkt." Dieser These würde der deutsche Wissenschaftler Marcus Maurer womöglich widersprechen. Denn seiner Ansicht nach beeinflussen verbale Informationen unsere Meinungsbildung wesentlich mehr als visuelle. Um das zu belegen, hat er 75 Probanden in 3 Gruppen eingeteilt. Allen Gruppen präsentierte er dasselbe Fernsehduell, in dem zwei ihnen unbekannte Lokalpolitiker um den Einzug in den Landtag stritten: Die erste Gruppe konnte die Kontrahenten nur hören, die zweite konnte sie nur sehen, und die dritte konnte sie hören und sehen. Dabei hat der Wissenschaftler sowohl die spontanen Eindrücke der Versuchsteilnehmer als auch deren abschließende Urteile analysiert. Seine Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Unsere ersten Eindrücke sind vornehmlich visuell geprägt. So haben die spontanen Bewertungen der Gruppe, die nur das Bild sah, anfangs weitgehend mit dem Urteil der Gruppe übereingestimmt, die über Bild und Ton verfügte. Der Ton hatte also zunächst keine entscheidende Veränderung in der Bewertung bewirkt. Das Bild hingegen sehr wohl. Denn die Gruppe, die das Duell nur hörte, hatte erst einmal einen völlig anderen Eindruck von den Duellanten als die "Bild-und-Ton-Gruppe".
Diese deutliche Überlegenheit des Visuellen am Anfang einer Kommunikations-Situation erklärt Maurer damit, dass wir verbale Informationen nicht so schnell einordnen und bewerten können wie visuelle. Wir verlassen uns daher so lange auf das, was wir sehen, bis wir das Gehörte begreifen und zur Urteilsbildung verwenden können. Das dauert gewöhnlich ca. 30 Sekunden.
Nach 30 Sekunden bestimmen dann verbale Informationen unser Urteil. Denn im weiteren Verlauf des Duells verschoben sich die Parallelen: Nun deckten sich die Eindrücke der Gruppe mit Bild und Ton weitgehend mit denen der "Nur-Ton-Gruppe". Die "Nur-Bild-Gruppe" aber hat die beiden Duellanten ganz anders - nämlich oft schlechter - beurteilt. Der Ton hatte also offensichtlich an Relevanz gewonnen und das Bild in den Hintergrund gedrängt.
Besonders deutlich hat sich das beim Schluss-Statement eines der Kandidaten geäußert: Sein eindringlicher Appell "Gehen Sie zur Wahl! Das ist das Beste, was Sie für unser Land tun können!" hat alle, die ihn hören konnten, positiv beeindruckt. Die Gruppe, die allein auf visuelle Informationen angewiesen war, hat er hingegen kaltgelassen. Das Gleiche galt für die anderen Passagen des Duells, die sich durch klar artikulierte Ziele, starke Argumente und emotionale, bildhafte Sprache auszeichneten: Sie alle haben die beiden Gruppen mit Ton klar überzeugt - unabhängig davon, ob sie den jeweiligen Redner dabei sehen konnten oder nicht.
Auch unser langfristiger, bleibender Eindruck hängt vorrangig davon ab, was wir hören - und nicht davon, was wir sehen. Diese Erkenntnis hat der Wissenschaftler aus der Tatsache gewonnen, dass die abschließenden Urteile der "Bild-und-Ton-Gruppe" denen der "Nur-Ton-Gruppe" wieder sehr ähnlich waren, während die "Nur-Bild-Gruppe" erneut stark von beiden abgewichen ist.
Offenbar hat der Rede-Inhalt einen so starken Nachhall, dass er die Äußerlichkeiten deutlich überlagert. Und zwar positiv wie negativ. So "profitierte" der eine Kandidat insgesamt davon, dass ihn die "Nur-Bild-Gruppe" nicht hören konnte, denn bei der abschließenden Befragung schnitt er "stumm" besser ab als bei den zwei Versionen mit Ton. Sein Kontrahent hingegen hatte die Probanden vor allem durch seine Worte überzeugt und bei den "Ton-Gruppen" einen viel positiveren Eindruck hinterlassen als bei der "Nur-Bild-Gruppe".
Was bedeuten diese Ergebnisse nun für Sie als Redner? Einerseits natürlich, dass es halb so schlimm ist, wenn Sie einmal Ringe unter den Augen haben oder die Frisur nicht sitzt. Schließlich zählt offenbar doch am meisten, was Sie Ihrem Publikum sagen, und nicht, wie Sie dabei aussehen. Andererseits zeigt das Experiment, dass Sie jede Rede sehr ernst nehmen und gut vorbereiten sollten. Dass es wichtig ist, eine klare Botschaft zu formulieren, die Sie mit gut strukturierten, tragfähigen Argumenten vermitteln. Dass es auf eine persönliche Sprache ankommt, die durch Metaphern und Beispiele lebendig wird. Und natürlich, dass Sie das Wichtigste besser nicht in den ersten 30 Sekunden unterbringen, in denen sich Ihr Publikum noch vorwiegend mit Ihrem Äußeren beschäftigt.
Vor allem aber zeigt das Experiment eines: Wenn Sie es richtig anstellen, bietet Ihnen jede Rede eine einzigartige Chance, Menschen zu gewinnen - selbst wenn Sie nicht George Clooney heißen ...