Pressetext: Bundesverfassungsgericht sieht die Meinungsfreiheit eines „Internet-Stalkers“ verletzt

Erhält Rufmord im Internet dadurch grünes Licht?

Mit Beschluss vom 17.09.2012 hat das Bundesverfassungsgericht zwei fachgerichtliche Urteile aufgehoben, weil diese die verfassungsrechtlich garantierte Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers verletzt hätten (BVerfG, Beschluss vom 17.09.2012 - 1 BvR 2979/10; siehe auch Pressemitteilung des BVerfG vom 13.11.2012).

Internet-Stalker“ entpuppte sich als Rechtsanwalt„

Die Verfassungsbeschwerde eingelegt hatte ein Rechtsanwalt aus Berlin, der im Internet unter einem Pseudonym in fragwürdigen Foren auftrat, um gegen Persönlichkeiten aus dem gesellschaftlichen Leben, die sich vegetarisch oder vegan ernähren, zu hetzen. Die Strategie des Beschwerdeführers war stets die gleiche: Wer sich vegan – d.h. ohne tierische Erzeugnisse - ernährt, muss aus der "braunen Ecke" kommen. Schließlich wurde sogar gegen einen Rechtsanwalt, der sich konsequent vegan ernährt, der Vorwurf der „Rechtsradikalität“ erhoben, der sich auch noch ganz oben bei „google“ für das weltweite Publikum auffinden ließ. Die Legende des „Internet-Stalkers“ flog anschließend auf. Der Anonyme entpuppte sich als Rechtsanwalt, der jahrelang als Anführer einer Internet-Community fungierte. Der von den Vorwürfen betroffene Rechtsanwalt bat diesen daraufhin mehrfach, die Vorwürfe zu unterlassen - ohne Erfolg. Schließlich zog der betroffene Anwalt gegen den Vorwurf der "Rechtsradikalität" vor Gericht.

Fachgerichte hatten die entscheidende Abwägung vorgenommen

Sowohl das Landgericht Würzburg als auch das Oberlandesgericht Bamberg entschieden unter Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht auf der einen und dem Meinungsäußerungsrecht auf der anderen Seite, dass im vorliegenden Fall die Meinungsfreiheit des “Internet-Stalkers” hinter dem Persönlichkeitsrecht zurückstehen muss. Als Folge wurde dem „Internet-Stalker“ verboten, den betroffenen Rechtsanwalt als „rechtsradikal“ zu bezeichnen (LG Würzburg, Urteil vom 19.05.2010 – 21 O 179/10; OLG Bamberg, Urteil vom 25.10.2010 - 4 U 109/10).

Und dennoch: Bundesverfassungsgericht hob die Urteile auf

Das Bundesverfassungsgericht hob diese Urteile auf und fordert von den Fachgerichten eine Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht auf der einen und dem Meinungsäußerungsrecht auf der anderen Seite, eben jene Abwägung, aufgrund derer die Vorinstanzen zu ihren Entscheidungen gekommen waren. Das Landgericht hatte eine Abwägung vorgenommen, die sämtliche Aspekte, die das Bundesverfassungsgericht einfordert, berücksichtigt hat. Das Oberlandesgericht hat sich diese Abwägung in seinen Urteilsgründen zu eigen gemacht. In der Abwägung sind die beiden Fachgerichte somit unter Berücksichtigung des hohen Wertes der Meinungsfreiheit zum Ergebnis gekommen, dass vorliegend aufgrund der Prangerwirkung und des Stigmatisierungseffektes, die den betroffen Rechtsanwalt schwer in seiner Sozialsphäre belasten, die Meinungsfreiheit zurücktreten muss. Dabei haben die Fachgerichte auch berücksichtigt, dass sich derjenige, der sich mit seinen Meinungen in die Öffentlichkeit begibt, auch Kritik gefallen lassen muss.

Ist diese Entscheidung ein politisches Signal?

Eine glatte Fehlentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, könnte man somit meinen; oder diente dieses Verfahren dazu, gegenüber Menschen, die sich kritisch mit politischen und gesellschaftlichen Themen auseinandersetzen, ein politisches Signal zu setzen? Diese Frage ist durchaus berechtigt, denn das Bundesverfassungsgericht hat auch noch mit einer inhaltlich irreführenden Pressemitteilung vom 13.11.2012 dafür gesorgt, dass Medien wie BILD-Online das Thema falsch aufgriffen. Durch die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts kann nämlich durchaus der Eindruck entstehen, dass jedermann im Internet – auch anonym - den Vorwurf der "Rechtsradikalität" beliebig erheben und verbreiten kann.

Das Verfahren beginnt nun wieder von vorne

Das Bundesverfassungsgericht hat die Sache nun zurück an das Landgericht Würzburg verwiesen. Somit geht das ganze Verfahren, das bereits hinreichend bearbeitet worden war, wieder von vorne los. Vermutlich wird es in zwei oder drei Jahren wieder vor dem Bundesverfassungsgericht landen.

Neustadt, den 15.11.2012

Rechtsanwalt
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